aus den Kirchheimer Mitteilungen
Einleitung
Die kommunale Gebietsreform in Bayern von 1971 bis 1978 zählte zu den "einschneidendsten Maßnahmen im Bereich der Gebietsaufteilung seit den Zeiten Montgelas und Ludwigs I.". Das Ziel war die Schaffung größerer und leistungsfähigerer Gebietseinheiten. Letztlich wurde u.a. die Zahl der Landkreise von 143 auf 71 und die der selbstständigen Gemeinden von rund 7.100 (1952) auf 2.051 (1990) reduziert.
Fragt man mit zeitlichem Abstand nach dem Erfolg der Gebietsreform, so wird angeführt, dass mit der deutlich reduzierten Anzahl der Gemeinden eine organisatorische Straffung, verbunden mit Kostenersparnis, eingetreten sei. Des Weiteren sei die Infrastruktur verbessert worden, was letztlich auch die positive wirtschaftliche Entwicklung Bayerns gefördert habe. Somit sei das Hauptziel der Reform erreicht worden, nämlich eine Stärkung der Verwaltung und Leistungskraft der Kommunen. Kritische Stimmen verweisen demgegenüber auf die Problematik der "Bürgernähe" aufgrund der Neugliederung sowie auf die Verringerung der bürgerschaftlichen Mitwirkung durch die Verminderung der Mandatszahlen infolge der Auflösung von Gemeinden.
... aus „Historisches Lexikon Bayern“
1978 – 2008: 30 Jahre Gemeinde Kirchheim bei München
Auch im Landkreis München wurde die politische Landkarte verändert. Die kommunale Gebietsreform verringerte die Zahl der Landkreisgemeinden von 39 auf 29. So verlor die Gemeinde Heimstetten ihre Selbständigkeit und wurde mit der Gemeinde Kirchheim, die eine größere Fläche und eine höhere Einwohnerzahl hatte, zusammengelegt. Der offizielle Name lautet seitdem „Gemeinde Kirchheim b. München“.
Vor fünf Jahren haben wir anhand unserer Aktenlage zu 25 Jahre Gebietsreform Sonderseiten in den KIRCHHEIMER MITTEILUNGEN veröffentlicht, heute sollen Menschen zu Wort kommen, die in den noch selbständigen Gemeinden Heimstetten und Kirchheim geboren wurden und heranwuchsen, die an den Veränderungen im Umfeld der Gebietsreform teilnahmen und die nun 30 Jahre Gemeinde Kirchheim b. München erlebten. Sämtliche Aussagen sind persönliche Erinnerungen und Meinungen. Wir danken allen Befragten sehr herzlich für ihr Mitwirken, für die Einblicke, die sie uns in ihren Lebenslauf und ihre Gedanken gegeben haben, und besonders danke ich ihnen für ihr Vertrauen.
Beginnen möchten wir bei Hermann Schuster
Hermann Schuster gehörte von 1966 bis 1976 dem Kirchheimer Gemeinderat an und stand der Gemeinde ab 01.11.1976 ehrenamtlich als erster Bürgermeister vor. Ab 1. Mai 1978 wurde er zum ersten Bürgermeister der Gemeinde Kirchheim b. München gewählt und war berufsmäßiges Gemeindeoberhaupt bis zum 30.04.1990.
Die Zusammenlegung der ehemals selbständigen Gemeinden Kirchheim und Heimstetten im Zuge der Gemeindegebietsreform im Jahre 1978 war weiß Gott keine Liebesheirat, vor allem nicht aus Sicht der Heimstettner Bürgerinnen und Bürger. Das ist auch sehr verständlich, brachte für Heimstetten die Gebietsreform nicht nur den Verlust der Selbständigkeit, sondern auch den des Gemeindenamens mit sich.
Wenn allerdings die Gebietsreform in irgend einer Weise einen Sinn haben sollte, dann hier: Begannen doch beide Gemeinden schon Ende der 60-iger Jahre eine enorme bauliche Weiterentwicklung, die anfangs noch im Vergleich zu anderen Landkreisgemeinden etwas zögerlich verlief, welche aber schon seinerzeit die bauliche Verbindung der gewachsenen Ortsteile letztlich zum Ziel hatte. Zu Beginn der 70-iger Jahre wurden in Kirchheim und Heimstetten die ersten Reihenhaussiedlungen gebaut. Weitere Siedlungen folgten, auch als Geschoßbauten. Dieser bauliche Aufbruch wurde von einer breiten Mehrheit beider Gemeinden getragen, so dass es ausgesprochener politischer Wille war, einen gemeinsamen Flächennutzungsplan aufzustellen, der ursprünglich auf ca. 40.000 Einwohner ausgelegt, später auf ca. 24.000 Einwohner reduziert und schließlich auf ca. 17.000 Einwohner limitiert wurde.
In diese Zeit fällt die Episode: Josef Hausladen (Heimstettner Bürgermeister von 1957 bis 1976), ein fleißiger und kerniger Landwirt, hoch geachtet und ungemein beliebt, war kein großer Redner. Als es darum ging, die bauliche Weiterentwicklung zu beschließen, zeigte er zunächst seinen Gemeinderäten einen mit beiden Händen geformten kleinen (mit einem Durchmesser von ca. 20 cm) Kanal und fragte: „Manna, wollt Ihr diesen ham ?“ Die Gemeinderäte schüttelten den Kopf. Dann zeigte er den Räten einen mit beiden Armen geformten großen (Durchmesser ca. 80 cm) Kanal. Darauf nickten alle Räte zustimmend. So wurde auf diese Weise eine bauliche Entwicklung von großer Tragweite eingeleitet.
In vielen gemeinsamen Sitzungen haben die Gemeinderäte von Kirchheim und Heimstetten über ein gemeindliches Entwicklungskonzept beraten und dann –um keine Formfehler zu begehen- mit gleichem Wortlaut zwar im gleichen Raum aber getrennt abgestimmt. Von beiden Seiten wurde mit größter Sorgfalt auf eine Ausgewogenheit in Baudichte, in den kommunalen Einrichtungen, in der gemeindlichen Infrastruktur, in der Verkehrsbelastung etc. geachtet. Verbindliche Festlegungen für den gemeinsamen Flächennutzungsplan waren: die Entwicklungsobergrenze durfte ca. 17.000 Einwohner nicht überschreiten und die Durchführung der Baumaßnahme sollte stufenweise erfolgen.
Aus dieser Zeit wird berichtet, dass die beiden seinerzeitigen Bürgermeister Martin Mair und Josef Hausladen bei der Situierung der Grund- und Hauptschule persönlich um jeden Meter gerungen haben, um dieses wichtige Projekt ja gleich weit von den jeweiligen Ortsmitten zu platzieren.
Die 1978 angeordnete Gebietsreform mit der Zusammenlegung der beiden Gemeinden Kirchheim und Heimstetten war mit dieser Vorgeschichte und unter Anwendung der Kriterien dieser gemeindlichen Strukturreform deshalb folgerichtig und für die politischen Gremien beider Gemeinden zwar eine rechtliche Zäsur, aber keine inhaltliche Änderung in der Aufgabenstellung.
Während sich die Gemeinde auf der Basis des genehmigten Flächennutzungsplanes über einzelne Bebauungspläne, ausgehend von den gewachsenen Ortsrändern hin zur Mitte, weiter entwickelte, nahm auch in Heimstetten das „Räterzentrum“ Gestalt an, wie auch im gewachsenen Ortskern von Kirchheim neue Baustrukturen mit Geschäften und Wohnungen geschaffen wurden. Der Einwohnerzuwachs betrug durchschnittlich jährlich ca. 1.000 Einwohner.
Die ersten Reihenhäuser kosteten seinerzeit ca. 100.000 bis 120.000 DM, für einen Normalverdiener ein schier unbezahlbarer Betrag. Aber der Drang zum Eigenheim und Eigentum war ungebrochen stark. Deshalb waren es durchwegs gut ausgebildete, gut verdienende und junge Familien, die in dieser Entwicklungsphase unsere Gemeinde als ihre neue Heimat wählten. Die Folge war: unsere Gemeinde galt über einen längeren Zeitraum als die geburtenstärkste in ganz Bayern, mit einem überaus großen Bedarf an Kinderspielplätzen, Kindergartenplätzen und Schulräumlichkeiten. Die jungen Neubürger wollten sich selbstverständlich auch sportlich betätigen, und so kam es, dass in unserer Gemeinde mit vier Tennisclubs, bezogen auf die Einwohnerzahl, die größte Dichte an Tennisspielern weit und breit war.
Durch vorausschauende Projektplanungen und Bürgerbefragungen im Vorfeld konnten bei diesem „Zuwachstempo“ auch ziemlich termingerecht die notwendigen kommunalen Einrichtungen wie Gymnasium, Schulen, Kindergärten, Bauhof, Sportanlagen, Kinderspielplätze u.v.m. errichtet werden.
Parallel dazu war die Gemeindeführung bemüht, den Bürgerinnen und Bürgern ein möglichst differenziertes und breit gefächertes Angebot an Arbeitsplätzen mit qualifizierten Ausbildungsplätzen zur Verfügung zu stellen. Vor allem legte man auch Wert auf Teilzeitarbeitsplätze, um gerade den Ehefrauen ein eigenes zusätzliches Einkommen zu ermöglichen. Diese Gewerbeansiedlungs-Bemühungen waren - auch nicht zuletzt dank der guten überörtlichen Verkehrsanbindung - so erfolgreich, dass es Ende der 80-iger Jahre in unserer Gemeinde eben so viele Arbeitsplätze wie Einwohner gab, was sich selbstverständlich auch auf ein überdurchschnittliches Gewerbesteueraufkommen auswirkte.
Gleichzeitig war es notwendig, eine funktionsfähige gemeinsame Verwaltung zu organisieren und auf der Grundlage der bestehenden Beschlusslage, der gutachterlichen Stellungnahmen und der örtlichen Gegebenheiten für die verbindende neue Ortsmitte eine verbindliche Bebauungsplanung zu erstellen.
Diese Aufgabe wurde dem Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München übertragen, der zunächst mit großer Sorgfalt Planungseckpunkte erarbeitete und diese als Vorgaben für einen städtebaulichen Planungswettbewerb machte. Das Ergebnis dieses Wettbewerbs wurde in den Bebauungsplanenwurf „Ortsmitte“ Bebauungsplan Nr. 66 eingearbeitet, der letztlich das Ergebnis einer über fünfjährigen sorgfältigen Vorbereitungs- und Planungsarbeit darstellte und Rat- und Bürgerhaus, Kirchenzentrum, Realschule, Jugendheim eine Fußgängerzone mit vielen differenzierten Geschäften, zahlreichen Wohnungen, Grünlagen, Spielplätzen u.v.m. beinhaltete. Diese Planung wurde in die notwendigen Genehmigungsverfahren gebracht und stand zum Zeitpunkt der Kommunalwahl 1990 kurz vor der Genehmigung. Es ist historische Wahrheit, dass diese Planung, einschließlich der bereits notariell geschlossenen Umlageverträge, mit der Maßgabe, in spätestens zwei Jahren eine bessere Zentrumsplanung zu erstellen, mit einer Stimme Mehrheit gekippt wurde.
Heute tut es mir weh, dass die Idee, ein homogenes Gemeinwesen zu schaffen, sich nicht –auch nicht in einer anderen Form– verwirklichen ließ und die gemeindlichen Strukturen ein Torso geblieben sind. Im Verlauf der letzten 18 Jahre hörten wir zwar immer wieder von unzähligen Planungen, die allerdings stets verworfen wurden, es wurden enorme Finanzmittel für Gutachten nutzlos ausgegeben, aber es fehlt immer noch das Mittelstück unserer Gemeinde mit wichtigen Funktionen, wie Rathaus, Bürgerhaus, Verkaufs- und Gewerbeflächen, um nur wenige zu nennen, es fehlt ein schlüssiges Verkehrskonzept, das die Gemeindeteile wie ein Korsett zu einer Einheit zusammenfügt. Es fehlen Zielvorgaben, es gibt keine stabile Planung, wie die mittige Fläche gestaltet und wie sie strukturell verbunden werden soll.
Es fehlt eine die Ortsteile verbindende Seele, die auch in den Kulturaktivitäten sichtbar wird. Kultur ist ein stärkendes, ja unverzichtbares Element bei der Zusammenführung der Menschen und bei der Förderung des Gemeinsinns.
gez. Hermann Schuster, 12. Mai 2008
Sehr gerne hätten wir auch mit dem letzten Bürgermeister von Heimstetten, Ludwig Rischbeck, gesprochen. Er war seit 1976 Mitglied des Heimstettner Gemeinderats und nach dem Tod von Josef Hausladen im Mai 1976 übernahm er das Bürgermeisteramt, das er bis 30.04.1978 bekleidete. In der Gemeinde Kirchheim b. München war er von 1978 bis 1984 zweiter Bürgermeister und von 1984 bis 1990 dritter Bürgermeister. Leider hat Herr Rischbeck abgelehnt mit uns zu sprechen, er sei zu alt und hat zurzeit ganz andere Gedanken. Wir anerkennen seine Verdienste um unsere Gemeinde und wünschen ihm alles Gute.
Als Zeitzeugen haben wir befragt
Stammtisch Heimstettner Frauen
„Der Stammtisch ist die Fortsetzung unserer früheren Klassentreffen.“
Dabei waren an diesem Tag:
Marlene Bauer...
„Ich bin eine der wenigen echten Kirchheimer, meine Mutter hat mich zuhause auf dem Stockerhof geboren. Mein Großvater war ein Überrheiner, von ihm hab ich meine Frohnatur. Er war evangelisch. Meine Großmutter und er haben 1905 ökumenisch geheiratet, die Kinder wurden dann katholisch erzogen. Mein Großvater war ein Pionier, er hat das Moos urbar gemacht. Es wurden Gräben zum Entwässern gezogen und für die Rösser fertigte er Holzschuhe an, damit sie nicht so leicht einsinken konnten. Wegen dieser Mühen wurde er anfangs ausgelacht, das hörte aber auf, als die Flächen dann bewirtschaftet werden konnten.“
Barbara Kraft-Heinik...
„Geheiratet hat man seit jeher untereinander, da galten keine Gemeindegrenzen. Ich bin das Kind einer solchen Verbindung. Mein Vater, Leonhard Kraft, war überzeugter Heimstettner und meine Mutter, Babette Kraft, ist Erbin des Zehmerhofs gleich neben der Pfarrkirche St. Andreas in Kirchheim. Ich empfinde Heimstetten und Kirchheim gleichermaßen als meine Heimat.“
Hans Kaußner...
„1958 kam ich nach Feldkirchen, hier traf ich die Liebe meines Lebens, gemeinsam zogen wir 1960 nach Heimstetten. Durch unsere Freundschaft zu den Stimmer’s lernte ich den damaligen Heimstettner Bürgermeister Josef Hausladen kennen, der mich 1964 kurzerhand zum nebenberuflichen Wasserwart bestimmte. 1969 wurde ich dann fest für den Heimstettner Bauhof eingestellt und ab 1978 hieß mein Arbeitgeber dann Gemeinde Kirchheim b.München.“
Hubert Dasch...
„Mein Großvater war Lehrer in der Volksschule an der Münchner Straße, mein Vater Archivar der Gemeinde Kirchheim. Ich selbst habe für eine kurze Zeit noch im Schulgebäude gewohnt, dort wo heute der Kindergarten ist, bis meine Eltern auf den Bauernhof zu den Großeltern nach Hausen gezogen sind.“
Geschichten bis zur Zusammenlegung
Hubert Dasch...
In Kirchheim hat die Bautätigkeit früh begonnen. Kleine Bauern haben ihre ortsnahen Felder verkauft, von denen sie kaum leben konnten. Die Beträge, die sie dafür erhielten, waren bescheiden. Damals war der Grund nicht so viel wert, das hat sich alles erst entwickelt. Mit dem Bauboom kamen schlagartig viele Neubürger. Von der Gemeinde sind sehr große Anstrengungen gemacht worden, dass sie integriert werden. Kirchheim war wegen der damaligen Bautätigkeiten Heimstetten voraus. Heimstetten hatte seinerzeit überhaupt nichts gehabt, außer mehr Geld als Kirchheim.
Hans Kaußner...
In den 60iger Jahren konnte man von Heimstetten aus bis nach München sehen, die Frauentürme konnte man sehr gut ausmachen. Mit dem Bau der Autobahn etc. ist die Landschaft gegliedert worden. Beim Bau der Autobahn hat Bürgermeister Hausladen sich große Verdienste erworben. Er hat durchgesetzt, dass die Autobahn die Gleise unterquert, geplant war ursprünglich eine Überquerung.
In Heimstetten gab es nur die Rosenstraße bis zum Danner, dann kam freies Feld nach Osten, die Poinger Straße endete vor dem Reitmeier, der stand im Feld, danach begann ein Feldweg. Im Sommer, wenn’s trocken war, hat man fahren können, aber im Winter, wenn’s geregnet hat, ging nichts. Erst 1964/65 wurde die Straße aufgemacht. Die Straße Heimstetten-Feldkirchen ist seit 1958 und die nach Kirchheim etwa 1960 staubfrei gemacht worden, das heißt mit Bitumen bespritzt und Riesel drauf verteilt.
Als ich zum ersten Mal ins Gasthaus Eberle gekommen bin, hab ich mich natürlich an den Nebentisch setzen müssen. Am Stammtisch saßen der alte Widmann, der eine Bäckerei hatte, der Axthamer, sie hatten einen Kramerladen und der Gschlössl, der ein kleines Milchgeschäft hatte. Der Gschlössl hat zu mir rüber geschaut und gefragt: „Wo bist jetzt Du?“ „Ja, in der Rosenstraße …“, „Is dei Frau so a dunkle etwas festere?“ „Ja!“ Dann hat der Gschlössl zu den anderen am Stammtisch geflüstert: „De kaufa bei uns ein“ und beim nächsten Gasthofbesuch wurde ich aufgefordert, mich an den Stammtisch zu setzen: „Setz dich halt zu uns rüber!“
Jeden zweiten Sonntag war Gottesdienst in St. Ulrich. Hierzu kam ein Pater mit dem Zug aus München. Am Bahnhof wurde er vom Bürgermeister persönlich abgeholt. Nach dem Gottesdienst ist er zum Eberle eingeladen worden, dort bekam er Weißwürste und ein Bier. Kurz vor Mittag ist er dann wieder mit dem Zug zurück gefahren. Häufig kam der „lustige“ Pater, der hat geschnupft und trank auch mal zwei Mass Bier. Der Zugführer hat gewusst, wann der Pater zurückfuhr. Stieg dieser nicht ein, fuhr er bis zur Brücke beim Gasthaus vor, wo der Pater das Fenster aufgemacht und ihm gezeigt hat, wie viel Bier noch im Glas ist. Der Zug hat dann gewartet, bis er leer getrunken hat.
Bürgermeister Hausladen war fast zwei Meter groß, korpulent und hatte eine laute, kräftige Stimme. Er war Bürgermeister im Ehrenamt und hatte eine kleine Landwirtschaft.
Seine Bürgerversammlungen waren eine Sensation. Die Leute sind am Nachmittag schon zum Wirt gegangen, so dass sie abends in Stimmung waren. Dann hat ein jeder gelurt, was er sagt, damit man wieder drauf einhacken hat können. 1968 berichtete er vom neuen Friedhof: „Meine Damen und Herren (meistens war ja bloß eine Dame da, das Fräulein Decker), jetzt ist der Friedhof fertig, jetzt ist es ganz einfach: wenn einer stirbt, braucht er bloß auf die Gemeinde kommen, dann wird alles geregelt.“ „Ja, sollt ich vorher kommen oder, wie mach ma denn des?“ „Geh stell dich ned so.“ - Schade, dass es keine Tonbandaufzeichnungen gibt!
Wir hatten jeden Tag um 8.30 Uhr eine Dienstbesprechung in seiner Küche. Eines Morgens im Oktober, als ich kam, saß ein gut gekleideter Herr am Tisch. Der Bürgermeister sah mich an und sagte dann zu ihm: „und der fliegt auch mit! Das ist unser Wasserwart, der muss bei euch draußen einmal die Straßen sauber halten.“ „Aber jetzt ist dann Schluss, jetzt haben wir den Feuerwehrkommandant, das Fräulein Decker und der noch, jetzt muss aber Schluss sei.“ Zwischen Heimstetten und Parsdorf sollte ein großer Europark gebaut werden und der mir Unbekannte makelte dieses Geschäft. In vier Wochen sollten wir für eine Woche nach New York fliegen und große Industriegebiete anzuschauen.
Als nächstes mussten die gültigen Reisepapiere organisiert werden. Also nahm mich der Bürgermeister am nächsten Mittwoch mit ins Landratsamt, er ging ins Bauamt und ich in die Passabteilung. Dort erklärte ich die Situation und mir wurde für den nächsten Tag mein Pass versprochen. Draußen im Gang hab ich mich hingesessen und auf den Bürgermeister gewartet. Als er kam, wollte er wissen, ob ich meinen Pass nun habe. „Nein, erst morgen.“ Hausladen stürmte in das Büro, hat die Klappe aufgemacht, ist in den Nebenraum raus: „Den Pass unterschreiben!“ und fünf Minuten später hab ich meinen Pass gehabt. Später hat mir der Landrat Dr. Gillessen einmal gesagt, dass Hausladen der gefürchtetste Bürgermeister aus dem ganzen Landkreis war. Wenn es geheißen hat, der Hausladen kommt, waren die Beamten ängstlich. Warten gab es bei ihm nicht, alles wird gleich gemacht.
Um die Reise zu besprechen, war der Makler persönlich anwesend: „Ich sags Euch gleich, warme Kleidung mitnehmen, schönes Wetter haben wir keines, in New York ist strengster Winter. Aus dem Gemeinderat: „Kann man ned warten bis a schöneres Wetter ist“ … „ja Mai oder Juni“ … „Mai ist besser wegen der Heuernte“ … „Gut, nehm ma einen Termin im Mai.“ Und bis zum Mai ist das gesamte Projekt auseinander gefallen und die einmalige Chance nach New York zu fliegen war dann vorbei.
Marlene Bauer...
Zwischen Kirchheim und Hausen waren Felder und dazwischen standen einsam zwei Gebäude. Im Winter wurden Schlitten am Traktor angehängt, der zog uns Kinder an diesen Häusern vorbei und wieder zurück. Das war unser Wintervergnügen.
Mein Vater hat aus der Brennerei die Schlempe aus Feldkirchen geholt. Er hat immer gesagt, wenn er frühmorgens durch Heimstetten fährt und arbeitet, da liegen die Heimstettner noch im Bett. Die Heimstettner galten bei den damaligen Kirchheimern als nicht so fleißig, sie haben Sport getrieben, Tennis und Fußball. Doch dafür hatten die Kirchheimer keine Zeit und auch kein Verständnis. Feindschaft zu Heimstetten war nie ein Thema, wir sind doch alle zusammen in die Schule gegangen. Der Vater war sowohl in Heimstetten als auch in Aschheim am Stammtisch willkommen und zusammen geheiratet haben sie allwei schon.
Als in den 60iger Jahren ein Makler namens Mahl auftauchte und begann, Felder aufzukaufen, da herrschte teilweise eine Goldgräberstimmung im Ort. Leuten, die bis dahin gerade genug zum Überleben hatten, wurde plötzlich Geld angeboten. Es passierten Geschichten, wie aus 1001 Nacht. Einige Bauernanwesen konnten mit dem Erlös des verkauften Grundes gerettet werden. In Kirchheim haben fast alle Landwirte Grund verkauft, - wer es nicht tat, wurde belächelt. Einmal wollte Mahl mit einem Hubschrauber auf dem alten Fußballplatz landen, das wurde ihm verboten, dann hat er vom Hubschrauber aus Fußbälle abgeworfen. Im Wirtshaus hat er Massen von Bier ausgegeben. Damals war Martin Mayr vom Kreuzhauserhof Bürgermeister. Seine Vorstellung war ein „Neuperlach“ für Kirchheims Zukunft. Man muss aber dazu sagen, dass die negativen Auswirkungen einer derartig massiven Bebauung auch noch nicht bekannt waren.
Als dann die ersten Demos Reihenhäuser errichtet wurden, haben wir uns sehr gewundert. Reihenhäuser waren uns unbekannt, für uns wären Wohnblocks normaler gewesen. Doch aus heutiger Sicht war es gut so, denn die Reihenhäuser haben Besitzer, die sich um ihre Immobilie kümmern.
Barbara Kraft-Heinik...
Ich selbst sehe mich als Heimstettnerin ebenso wie als Kirchheimerin. Meine Mutter hatte viel Arbeit mit der Landwirtschaft und so war ich als kleines Mädchen oft bei meiner Oma in Heimstetten. Wir Kinder vom Ort spielten alle zusammen auf der Hauptstraße. Mit meinen Freundinnen aus Kirchheim und Heimstetten gingen wir zum Heimstettner See zum Schwimmen, auch schon bevor er offiziell zum Badesee erklärt wurde. Wir nannten ihn DIE Fidschi, mein Vater sagte „d’Velaschka“.
1966 begann für mich und vier anderen Mädchen aus Kirchheim die Schulzeit. In den beiden ersten Klassen besuchten wir die Schule an der Münchner Straße, doch in der dritten und vierten Klasse mussten wir, weil wir so wenige waren, nach Aschheim zur Schule. Als 1971 die neue Volksschule zwischen Kirchheim und Heimstetten errichtet wurde, empfanden wir das als gerecht, denn nun hatten alle Kinder einen gleich weiten Schulweg. Wir waren stolz auf unsere moderne, helle, großzügige Schule und gingen gerne dort hin, zumal hier der junge Referendar Roland Rotter unterrichtete, der so gut Gitarre spielen konnte, und den alle Schülerinnen anhimmelten.
Was nicht im eigenen Garten wuchs, kauften wir im Tante-Emma-Laden der Familie Endlinger. Erst viel später eröffnete der Feinkostladen Katra an der Münchner Straße und es wurden Waren angeboten, die damals noch etwas ganz Besonderes waren! Feldkirchen war die „bessere“ Gemeinde, denn dort gab es vieles, was es in Kirchheim, Heimstetten oder Aschheim nicht gab. Hier praktizierten Ärzte, es gab die Schnitzlein-Apotheke, einen Friseur und einen Spiel- und Schreibwarenladen. Kleidung, Schuhe und dergleichen wurden in München oder Markt Schwaben eingekauft.
Als ich dann in München zur Schule ging, genoss ich das „weltstädtische Flair“. Die anlässlich der Olympiade 1972 eröffnete S-Bahn war bedeutend komfortabler als der bis dahin nur sporadisch fahrende Postbus. Während dieser Zeit wurden auch die Demos-Häuser an der Hausner Straße bezogen. Zu den in etwa gleichaltrigen Mädchen suchte ich besonders den Kontakt, sie berichteten mir Neues und eröffneten eine mir unbekannte Welt, mit ihnen ging ich auch nach München in die Tanzschule.
Fest eingeprägt hat sich mir die Fahnenweihe der Kirchheimer Feuerwehr 1976. Ich durfte Fahnenjungfrau sein. Es gab einen Umzug durch das Dorf und die Leute am Straßenrand jubelten uns zu. Gefeiert wurde am alten Sportplatz. Große Feiern gab es selten, da waren die Faschingsbälle beim Neuwirt und alle sieben Jahre der Schäfflerball.
Stammtisch Heimstettner Frauen...
Wir hatten nie eine eigene Schule gehabt. Die Heimstettner, die Landshamer und Gruber sind immer nach Kirchheim gegangen und die Evangelischen nach Feldkirchen. Wir waren in der Schule zusammen und haben uns auch so getroffen. Auf unserem Schulweg kamen wir an der Kiesgrube vorbei, heute steht dort das Haus der Reinigung Müller. Im Winter sind wir auf dem Schulranzen runter gerutscht und dann patschnass in der Schule angekommen. Die nassen Kleider haben wir um den Ofen zum Trocknen aufgehängt. Manchmal im Winter hat uns ein Vater mit dem Schneepflug zur Schule gebracht oder wir konnten mit dem Milchwagen vom Gschlössl mitfahren. Für uns Kinder war nichts da, wir haben immer frei gespielt, sind über die Felder gelaufen und waren an die Fidschi. Es war eine arme Zeit, aber sie war schön.
Frau Sensburg ist Heimatvertriebene. Sie ist als Kind auf den Kistlerhof gekommen. Die Familie Kistler hat für Arme und Vertriebene sehr viel getan. Wer immer auf diesem Hof gearbeitet hat, hat eine Brotzeit bekommen. Die damals 18jährige Betty hat für jedes Kind, das Kommunion hatte, eine Buttercremetorte gebacken. Am Faschingsdienstag haben wir uns maskiert und sind von Hof zu Hof gegangen. Am Kistlerhof war immer was hergerichtet, die haben extra gebacken.
Die Vertriebenen waren in den Baracken untergebracht, die vorher vom Militär genutzt wurden. Diese Notunterkünfte standen gegenüber vom Gasthof Eberle, dort wo früher einmal der Bogner-Fabrikverkauf war, und darunter müsste noch der alte Bunker sein. In Heimstetten war man stets tolerant und aufgeschlossen gegenüber den Heimatvertriebenen und auch den später zugezogenen Neubürgern.
Eine herausragende Persönlichkeit in Heimstetten war Maria Glasl, die Gollin. Sie hat ein ganzes Album mit Dankesschreiben von Soldaten, denen sie geholfen hat. Für einen halben Tag Kartoffelklauben gab es bei ihr eine Brotzeit und 5 Mark. Vom damaligen Bürgermeister Hausladen hat sie es sich notariell geben lassen, dass auf dem von ihr gestifteten Grundstück eine Kirche gebaut werden muss, sonst nimmt sie das Grundstück wieder zurück. Maria Glasl hat auch den Grund für den Kindergarten gegeben und ein Altersheim, auf einem Grundstück in Richtung Friedhof, war vorgesehen. Diese Idee hatte aber keine Resonanz in der Bevölkerung gefunden.
1. Mai 1978
Barbara Kraft-Heinik...
Meinem Vater fiel es sehr schwer, die Zusammenlegung der Gemeinden Heimstetten und Kirchheim zu akzeptieren, und als besonders schmerzlich empfand er die Demontage der „Heimstetten“ Ortsschilder. Er liebte Heimstetten, hier lebten seine vertrautesten Freunde. Mein Vater hat das Heimstettner Wappen kreiert, bei der Heimstettner Feuerwehr war er stellvertretender Kommandant, er war Heimstettner, - viel später habe ich erfahren, dass er in Kirchheim nur mit zweitem Wohnsitz gemeldet war, sein erster blieb immer Heimstetten. Als Max, mein zweiter Sohn, in St. Peter in Heimstetten seine erste Kommunion gefeiert hat, hab ich von vielen ehemaligen Freunden und Bekannten meines Vaters gehört: „Da tät sich der Papa freun!“
Für mich war das wichtigste Ereignis im Jahr 1978 nicht die Gebietsreform, sondern mein frisch erworbener Führerschein.
Die Gebietsreform war natürlich zu Hause ein Thema, viel intensiver habe ich aber die Zusammenlegung der CSU Ortsverbände erlebt. Da gab es anfangs große Differenzen, doch der Meyer Toni hat mit seiner ruhigen und ausgleichenden Art Kompromisse erzielt, die alle zufrieden gestellt haben.
Die Gemeinde Heimstetten hatte 1978 mehr Geld, Kirchheim jedoch mehr Einwohner und eine größere Fläche, das zählte damals mehr, und so wurde Heimstetten Kirchheim zugeschlagen. Wichtig und richtig war es, dass im neuen gemeinsamen Wappen die Zeichen der Gemeinde Heimstetten UND der Gemeinde Kirchheim mitgeführt werden. Irgendwann hat die Bahn oder aber der Gemeinderat die Idee geboren, die S-Bahnstation in Kirchheim umzubenennen. Ich bin froh, dass diese Idee bald wieder gestorben ist.
Stammtisch Heimstettner Frauen...
Bürgermeister Hausladen hat wegen der Gemeindezusammenlegung sehr gelitten, „wir werden verkauft“, hat er gesagt, und das hat „eam das Herz abdruckt!“ Früher sind wir nach Kirchheim gegangen, um uns zu schlagen, und jetzt sollen wir Kirchheimer sein! Bürgermeister Hausladen wäre im Juli 2008 100 Jahre alt geworden.
Gemeindekämpfe hat es schon immer gegeben, aber das war nicht so ernst.
Unser Heimstettner Kampfgesang war...
„Hoaschdenga samma / Lassn uns nix gfalln /
Zuahaun damma / Dass d’Schädl obafalln /
Viere, fünfe fürcht ma ned / Sechse, siebne a no ned /
Achte hamma so dadruckt / D’Leit ham nur so guckt /
Und wenn uns dann d’Leit fragn /
Wo wir nur die Kraft herham /
Da sagen mia ganz einfach / Vom Kaiser Apfelsaft“.
Die Gebietsreform wurde den Heimstettnern aufgezwungen, dies empfanden wir als sehr dramatisch, wir konnten uns aber den Erfordernissen nicht entziehen. Wir sind Heimstettner und wir bleiben Heimstettner und müssen uns damit abfinden, dass Heimstetten und Kirchheim nun eine Gemeinde ist. Es war eine Zweckehe und rief beidseitig kaum große Begeisterung hervor. Aber insgesamt hat man es hingenommen, man musste sie ja hinnehmen, - und eigentlich war es soweit ganz gut.
Hubert Dasch...
Prinzipiell sehe ich die Gebietsreform positiv, denn größere Einheiten bringen mehr kommunale Einrichtungen und diese dienen allen Einwohnern. Kirchheim und Heimstetten waren seinerzeit relativ kleine Gemeinden, die alleine wahrscheinlich nicht überlebensfähig gewesen wären, gerade im Hinblick auf die Anforderungen, die man auch damals schon an die Kommunen gestellt hat.
Die Planung der Gebietsreform hat ja schon viele Jahre vor 1978 begonnen. Es war eine Entwicklung, die sicher vernünftig war. Ich glaube, dass es die Heimstettner immer noch schmerzt - und das würde uns in Kirchheim nicht anders gehen -, dass der Ortsname Kirchheim ist und nicht Heim-stetten. Warum hat man sich nicht auf „Kirchstetten“ geeinigt - es gab ja bereits den „Kirchstettner Igel“, oder Kirchheim-Heimstetten so wie Garmisch-Partenkirchen? Das ist natürlich schon ein Stachel in der Seele der Heimstettner. Vielleicht war die Namensgebung der Keil, der damals in die beiden Ortschaften getrieben worden ist.
Hans Kaußner...
Die Heimstettner wären gern nach Feldkirchen gegangen, umgekehrt aber nicht. Es sind auch diesbezüglich Anträge gestellt worden. Postalisch war Heimstetten (PLZ 8016) bei Feldkirchen. In Feldkirchen gab es auch die besseren Einkaufsmöglichkeiten, es gab ein Textilgeschäft, Kiosk, Ärzte, die Post, usw. Doch Feldkirchen hatte die Chance allein zu bleiben, weil es alle Voraussetzungen im Ort gab. Dann hat man gemeint, weil Heimstetten die S-Bahn hatte, könnte es auch selbständig bleiben, und außerdem war Heimstetten wegen seiner Gewerbebetriebe reich.
So weit ich weiß, gab es von Seiten Kirchheims nie Einwände gegen die Zusammenlegung, da hat man nie was gehört. Es war vorauszusehen, dass Kirchheim so bestehen bleibt, es wohnten dort mehr Menschen. Eine Bürgerbefragung wegen des Namens hätte nichts gebracht, weil die die mehreren waren.
Bürgermeister Hausladen war zweigeteilt. Er hat einen großen Unterschied gemacht: Politik ist Politik und „mia san mia“; er hat sich richtig rein gesteigert, aber politisch ist zusammen gearbeitet worden. Er war für einen gemeinsamen Flächennutzungsplan, für eine gemeinsame Schule, aber nur nicht für eine gemeinsame Gemeinde. Auch keine gemeinsame Verwaltung mit Kirchheim war erwünscht.
Eines Morgens fragte mich der Bürgermeister um meine Meinung. Mir sei es eigentlich gleich, wo ich mein Geld herbekäme, sagte ich und hörte gleich lautstark: „Ja, bist du a no ein Mannsbild!“ Die Spannungen zwischen Kirchheim und Heimstetten waren groß. Als Hausladen im April 1976 starb, hat man gesagt, die Eingemeindung hat ihn ins Grab gebracht.
In Heimstetten wurden noch sämtliche Straßen saniert, und Kirchheim wurde da nicht gefragt, denn es hieß: „Wir verbauen unser Geld noch, weil mit nach Kirchheim nehmen wir kein Geld mit“. Andererseits war das für Kirchheim auch kein Nachteil.
An der Poinger Straße wurde der kleine Bauhof gebaut. Den ersten gemeindlichen Unimog hat der Bürgermeister als landwirtschaftliches Gerät gekauft, weil es dann billiger war. Erst ein halbes Jahr später ist er dann auf die Gemeinde umgeschrieben worden. Hausladen war von Haus aus sehr sparsam, privat genau so wie mit den Gemeindefinanzen.
Um den 1. Mai 1978 gab es keinen Maibaum, es gab weder eine Veranstaltung noch eine Gegenveranstaltung, demonstrieren hat’s damals nicht gegeben. Natürlich ist viel geredet und debattiert worden, auf der Straße, beim Wirt, in den Vereinen. Doch wir haben möglichst Abstand gehalten, irgendetwas gemeinsam zu veranstalten.
Politisch ist die Gebietsreform fair gelaufen. Der Bauhof blieb in Heimstetten und die Kirchheimer Bauhofarbeiter kam zu uns. Unter uns Kollegen gab es zu keiner Zeit Konkurrenz o.ä. wegen Kirchheim oder Heimstetten. Bürgermeister Schuster hat immer gesagt, eins möchte er nicht hören, dass Heimstetten vernachlässigt wird. Da legte er großen Wert drauf, dass es zusammen harmoniert, doch Sturschädel hat man nicht rausbringen können.
Rektor Boche, er war ein eingefleischter Kirchheimer aber auch Mitglied im Männergesangverein, prophezeite, dass es nie eine Gemeinde sein wird. Keines der Kinder in der ersten Klasse spielt mit Kindern aus der anderen Gemeinde. Es wird sich nicht alles wieder beruhigen und auch die Neubürger, die ja eigentlich nichts davon wissen, wären parteiisch.
Marlene Bauer...
Die 70iger Jahre waren für mich besonders ereignisreich. 1974 wurde unser jetziges Wohnhaus gebaut, 1975 geheiratet, 1976 kam unsere Tochter und 1978 unser Sohn zur Welt, und am 1.04.1978 haben wir die Firma ganz übernommen, ind er wir seit mehreren Jahren mitgearbeitet hatten. Wir hatten keine Zeit für das politische Geschehen, so dass wir die Gebietsreform kaum wahrgenommen haben. Heimstetten wurde halt kassiert, sie hatten ja keine Schule, keine Kirche, sie hatten nur die Bahn und meinten, sie seien damit der bessere Ort.
Wie lebt es sich in der Gemeinde Kirchheim bei München – Ortsteil Kirchheim / Ortsteil Heimstetten ?
Barbara Kraft-Heinik...
Für mich ist Kirchheim und Heimstetten gleichermaßen Heimat. Hier kann ich meine beiden Neigungen vereinen, zum einen bin ich als Stadtführerin häufig in München und zum anderen bin ich auch Landwirtin. Auf meinen Feldern bauen wir -Franz Weiß und ich- Getreide an. Unsere Braugerste wurde schon einmal als die Jahresbeste prämiert. Ich habe zwei Buben, der erste ging in die Grundschule 2 in Kirchheim und der zweite in die Grundschule 1. Als der Kinderarzt von Kirchheim nach Heimstetten umgezogen ist, mussten kurz danach das Kindergeschäft Fäustle und das Spielwarengeschäft aufgeben, und eine Geschäftsaufgabe bedingt dann die nächste, so dass es heute im Brunnen-Einkaufszentrum ziemlich einsam ist. Dergleichen Entwicklung ist bedauerlich.
Stammtisch Heimstettner Frauen...
Mitten im Ort gibt es eine Siedlung mit einem Wall herum, die „Dorf“ heißt, wo doch bei der Ulrichskapelle das Dorf ist. Und die Straße die diesen Wall umkreist, wird nie geöffnet. Die Verkehrsprobleme sind wesentlich, und sie sind ungelöst. Bisher hat noch niemand etwas vorgetragen, das besser wäre als das alte, das ist höchst unbefriedigend. Die schöne alte Gemeindestraße zwischen Heimstetten und Kirchheim war eine direkte Verbindung mit Sichtachse. Mit der Staatsstraße ist alles neu und umständlicher geworden. Auch kulturell ist die Gemeinde von Sinfoniekonzerten zum Kabarett abgestiegen. Bürgermeister Hilger sorgt überhaupt nicht für Heimstetten, er ist ein Moderator.
Damals vor 30 Jahren gab es in Heimstetten die Bäckerei Widmann, den Metzger Böltl, die Reinigung und drei Banken. Wenn wir zum Einkaufen wollten, mussten wir zum Katra nach Kirchheim, die Leute dort waren immer sehr freundlich. Für uns war das selbstverständlich und wir haben nicht gejammert. Jetzt ist es umgekehrt, in Kirchheim aber ist großes Trara deshalb, - sie können doch nach Heimstetten kommen! Wir haben eine Zeit lang nichts gehabt, bis dann mit dem Bau des REZ der Co-op kam. Das REZ ist gelungen, weil der Marktführer Humplmayr so viel macht. Er schaut, dass es belebt bleibt, er ist schon tüchtig, alle Achtung.
Kirchheim dagegen hat sich in den letzten 30 Jahren schlecht entwickelt, - mit dem BEZ ging’s bergab, weil es kein Management gegeben hat.
Kirchheim soll Heimstetten übergestülpt werden, damit Heimstetten seine Identität verliert, und das ist erst die letzten Jahre so. Es ist immer gut gegangen, aber jetzt auf einmal fordert man, wir sollen wieder auseinander gehen. Wir wollen ja nichts von den Kirchheimern, die leben ja schon 30 Jahre mit uns, es kann schon gemeinsam weitergehen, aber man soll jedem Gemeindeteil seine Identität lassen. Wir müssen seit 30 Jahren an unserer Gemeindegrenze das Schild „Kirchheim“ betrachten und das Gewerbegebiet in Heimstetten heißt „Kirchheim II“.
Vaterstetten hat viele Ortsteile, denen würde nie im Traum einfallen, in Weißenfeld das Schild „Vaterstetten“ zu etablieren: Haben Sie jemals gehört der Segmüller in Vaterstetten? Nein, immer nur der Segmüller in Parsdorf! Kirchheim will Heimstetten in den Hintergrund drängen. Das wollen wir nicht. Wenn zu lesen ist, St. Peter in Kirchheim, da steigen mir die Haare hoch, es muss Ortsteil Heimstetten heißen. Das schlimmste was man einem Gemeindeteil antun kann ist, wenn man ihm die Identität nimmt.
Hubert Dasch...
30 Jahre lang hat sich nun der Ort entwickelt, aber nicht gemeinsam. In der Mitte der beiden Gemeinden hat man eine Volksschule gebaut mit dem Ziel, dass alles zusammenwächst, was aber bisher nicht gelungen ist. Ich bedaure es, dass die Gemeinden mental nicht zusammenwachsen, das hängt nicht mit Häusern zusammen und mit neuen Bürgern auch nicht.
Vereine haben eine große Integrationsmöglichkeit, aber da sind die Kirchheimer Burschen und die Heimstettner, die Heimstettner Feuerwehr und die Kirchheimer.
Bei der Kirchheimer Blaskapelle haben schon immer Heimstettner mitgespielt, da gab es nie Reibereien, da hat es nie geheißen, „ihr seid Hoaschdenga, eich lass ma ned mitspuin“. Wenn man mal flaxt und scherzt weiß jeder, dass man das nicht ernst meint. Der Hornburger Sepp, sein Bruder Hans, der Stenz Rudi, waren schon ziemlich früh dabei. Und der Meyer Toni hat mit Sicherheit nie jemand ausgeschlossen, nur weil er von Heimstetten ist, er war eine Integrationsfigur.
Bei der Feuerwehr hat es früher schon große Rivalitäten gegeben, aber zwischenzeitlich sollen sie gut zusammenarbeiten, hat man mir gesagt. Ich war Kassier bei der Feuerwehr, als vor ca. 20 Jahren einmal die Heimstettner Feuerwehr die Kirchheimer eingeladen hat. Wir waren wirklich nur zu zweit drüben, der Hiltmair Hans, der ältere, und ich. Ich habe mich so geschämt, weil diese Einladung von den Feuerwehrkollegen so boykottiert wurde. Das war kurz nachdem das neue Feuerwehrhaus eingeweiht wurde und sich die Heimstettner geweigert haben, dass sie dort auch einziehen. Vielleicht herrschte deshalb in der Vorstandschaft eine gewisse Verstimmung. Ich habe es sehr schade gefunden, dass man da so nachtragend ist. Ich lebe in die Zukunft. Wenn man das Alte nicht vergisst, kann nichts Neues entstehen. Man muss das Gewesene abhaken und über seinen Schatten springen können, wenn’s notwendig ist.
Warum fühlen sich viele Kirchheimer heute zurückgesetzt? Vielleicht liegt es daran, weil in Heimstetten durch die Aktivitäten des Herrn Humplmayr sehr viel entstanden ist. Es war in Kirchheim keine vergleichbare Person da. Wenn in Kirchheim einer gesagt hätte, ich bau da ein Riesenzentrum und betreib das auch, ja dann … es hat sich halt so entwickelt, man muss es im Ganzen sehen, da kann man weder in Kirchheim noch in Heimstetten was dafür. Die Einkaufsmöglichkeiten in Kirchheim schauen mager aus. Das Brunnenzentrum dümpelt seit Jahren vor sich hin und auch die Einkaufsmöglichkeiten im alten Ortskern von Kirchheim sind keine Alternativen zu dem, was das REZ anbietet. Bei den Einkaufsmöglichkeiten sind die Kirchheimer ins Hintertreffen geraten, vor 30 Jahren war es noch andersrum.
Wenn man damals bei der Genehmigung des REZ schon mehr auf das Ortszentrum in der Mitte gesetzt hätte, dann wäre es vielleicht ausgeglichener gewesen. Auch die Kirche hat einiges dazu beigetragen, dass die Trennung noch besser zementiert worden ist. Damals hätten wir es wahrscheinlich akzeptiert, wenn zu Lasten von St. Andreas in der Mitte eine neue Kirche gebaut worden wäre. In absehbarer Zeit, wenn wieder Pfarreien zusammengelegt werden, kann es vielleicht auch zu Lasten von St. Andreas gehen, aber dann tut es weh.
Ich glaube, die Kirchheimer und die Heimstettner haben unterschiedliche Mentalitäten. Ich kann mich an einen Faschingsball in Heimstetten erinnern, ich hab Musik gespielt. Da hat’s geheißen, dass es bis zwei geht, um zwei da wollten wir aufhören, aber dann ist verlängert worden, das gab’s in Kirchheim auch noch. Dann ist noch einmal verlängert worden, na ja, das gab’s in Kirchheim vielleicht auch manchmal, aber dann sind die Organisatoren unter die Gäste gegangen und haben gesammelt, damit sie die Musi haben zahlen können: so was ist mir in Kirchheim noch nie untergekommen.
Marlene Bauer...
In den letzten 30 Jahren ist viel geschehen, damals begannen bei unserem Haus schon die Felder. Heute gibt es fast keine Landwirtschaft mit Tierhaltung mehr. Die alten Bauernhäuser und auch die Ställe sind zu Wohnungen oder für eine gewerbliche Nutzung umgebaut worden. Nun gibt es auch Arztpraxen, Apotheken und Geschäfte. Die gesamte Gemeinde hat sich verändert, sie ist städtischer geworden. Vorher hat man jeden noch gekannt und heute, wenn wir z.B. zu einer Veranstaltung ins Gymnasium gehen, kennt man fast niemanden mehr, so wie in der Stadt.
Das Verhältnis zwischen Kirchheim und Heimstetten war früher – vor der Gebietsreform besser als nachher. Die neuen Bürger sind ablehnender als die alten, so dass die Gemeinden immer mehr auseinander driften. Die alten haben den neuen Bürgern das Terrain überlassen. Im Gemeinderat sind schon lange Zeit kaum mehr Landwirte vertreten.
...und wie soll es weitergehen ?
Ich plädiere dafür, dass unser Ort einen neuen Namen erhält: „Kirchheim-Heimstetten“, und ich wünsche mir, dass der Ortsteil Kirchheim nicht vergessen wird. Kirchheim soll lebendig sein und sich nicht zu einer Schlafstadt entwickeln, die Bürger aller Gemeindeteile sollen sich offen und unvoreingenommen begegnen, sehr schön geeignet ist hierfür auch das Dorffest, ja und dann wäre ein harmonisches Miteinander zwischen den Landwirten und den Rest der Bevölkerung erstrebenswert.
Stammtisch Heimstettner Frauen...
Der Doppelname „Kirchheim-Heimstetten“ wäre nicht schlecht, aber „Kirchheimstetten“ ist blöd. Der Bahnhof und die Autobahnausfahrt müssen aber immer „Heimstetten“ heißen. Der Rektor von Feldkirchen hat einmal vorgeschlagen, die Gemeinden Aschheim, Feldkirchen, Kirchheim und Heimstetten zusammenzulegen und diese Großgemeinde „Sankt Emmeram“ zu nennen, das ist insgesamt gar nicht einmal ganz schlecht.
Marlene Bauer...
Ursprünglich gab es eine zentrale Kirche, St. Andreas. Es gab einen Chor, eine gemeinsame Bastelgruppe und die Pfarrjugend. Mit dem Bau von St. Peter, forciert mit dem um das Lindenviertel erweiterten Sprengel, entstanden viele Meinungsverschiedenheiten, solange bis alles getrennt wurde. Erst mit dem Ende der Gemeinsamkeiten kehrte Frieden ein. Deshalb glaube ich auch nicht, dass Kirchheim und Heimstetten jemals harmonieren werden. Ich habe nichts gegen Heimstetten, doch ich kann mir vorstellen, dass einige Kirchheimer und Heimstettner in zwei getrennten Orten glücklicher wären. Ich könnte mir eine Verwaltungsgemeinschaft vorstellen.
Hubert Dasch...
Ich versteh es eigentlich nicht, warum es zwischen Kirchheim und Heimstetten nicht hinhaut, wer oder was der treibende Keil ist. Vielleicht tut man selber zu wenig dafür, aber ich kann ja nicht durch Heimstetten gehen und jeden umarmen. Ich hab weder Patentlösungen noch irgendwelche Vorstellungen, wie man es schaffen kann, ich kann nur empfehlen, dass ein jeder für sich selber schaut, dass er positiv auf die Mitbürger zugeht und nicht immer alte Gräben aufreißt. Man muss gemeinsam in die Zukunft schauen und soll nicht ganz so egoistisch sein und den anderen auch was zukommen lassen – persönlich wie kommunal. Dazu kommt das allzu menschliche Problem, jeder will größer, stärker, schneller, reicher und einflussreicher als der andere sein, und keiner gönnt dem anderen etwas.
Wir können ja Kirchheimer und Heimstettner bleiben, aber a bisserl a Gemeinsamkeit und Gemeinsinn soll man halt schon entwickeln.
Wir wünschen der Gemeinde Kirchheim bei München
mit ihren Ortsteilen Hausen, Heimstetten und Kirchheim eine glückliche Zukunft
Verfasser und Urheber, sowie v.i.S.d.P. Peter-John Coppens
Münchener Straße 1, 85551 Kirchheim bei München
Tel.: 089 690 666 0